Ein Tag in der Klapsmühle
Morgens um sieben Uhr trampelt eine Elefantenhorde über die Station Richtung Dienstzimmer. Wahrscheinlich sind dies aber nur die Pfleger mit ihren überdimensionierten Ärschen, die heute Frühdienst haben. „Plapper, laber, quatsch, oink, quark“, hört man aus dem Büro. Übergabe nennen die Pfleger das; ist ja auch logisch, denn bei so einem Müll müßte ich mich auch übergeben. In Wirklichkeit werden dort unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen die Foltermethoden besprochen, die die Psychologen im Laufe des Tages an uns Versuchskaninchen ausprobieren werden. Der Therapeut steht mit seiner MP im Anschlag hinter der Tür. Jeder, der es wagt sich der Sperrzone zu nähern, wird ohne Rücksicht auf Verluste erschossen. „Scheißegal“, denke ich mir, denn den Fraß, den man in diesem Saustall zum Frühstück vorgesetzt bekommt, würden nicht einmal die Blagen in Äthiopien fressen. Daher ziehe ich mir die Bettdecke über den Kopf und bleibe liegen.
„Bumm, bumm, bumm“, vernehme ich plötzlich. Es klingt als wären drei Atombomben auf dem Gelände der Ballerburg explodiert. Im nächsten Augenblick spüre ich auch schon die Druckwelle. Nein, halt! Der Luftzug kommt doch nur von der Zimmertür, die gerade auffliegt. Noch bevor ich die Augen öffnen kann, brüllt unser Nachfolge-Adolf mir schon entgegen: „Get up, stand up!“, oder wie es auf Psychodeutsch heißt: „Aufstehen!“ – „Leck mich!“, denke ich mir, sage aber dann „Oki-doki!“, damit dieser Wichtigtuer wieder verschwindet. Ich bin verdammt nochmal schon seit einer halben Stunde wach und gerade dabei, mich mental auf den Tag vorzubereiten. Bei so einem Terrorregime wie in der Klapsmühle dauert das eben seine Zeit. Nach einer weiteren Viertelstunde begebe ich mich allmählich zum Waschraum.
Pissen, waschen, Zähne putzen – alles muß jetzt innerhalb von 3,8 Sekunden erledigt sein. Die Stationsleiterin überwacht die Waschraum-Stechuhr heute höchstpersönlich. Braucht man nur eine Nanosekunde länger, brät der Stationsarzt der betreffenden Person einen Baseballschläger über den Schädel, so daß man die folgenden Wochen sabbernd im Bett verbringt. Mit einer gemütlichen Durchschnittsgeschwindigkeit von 167 km/h laufe ich zurück in mein Zimmer. Meine Kleidung kommt mir schon entgegengeflogen und noch bevor ich die Tür hinter mir schließen kann, bin ich komplett angezogen.
Ich schnappe mir eine Wasserwaage und ein Maßband, um mein Bett psychologengerecht herzurichten. Den Papierkorb muß ich auch noch leeren und jede verbleibende Bakterie einzeln mit den Fingernägeln zerquetschen. Nun kratze ich noch eben jedes Staubkorn mit einem Zahnstocher aus dem Teppich und schon kann ich mein Zimmer vom zuständigen Pfleger, den ich nach einer dreistündigen Suchaktion gefunden habe, abnehmen lassen. Heute habe ich Glück, denn ich lande schon auf Platz fünf der Abnahmeliste. Somit kann es sich nur noch um Stunden handeln. Solange darf ich däumchendrehen und mir die schönen, weißen Wände meines Zimmers anschauen. Schließlich kommt Mister Überkorrekt mit seiner Meßstation, die mit einem Präzisions-Industrielaser ausgestattet ist, der jede noch so kleine Unregelmäßigkeit registriert, in mein Zimmer gefahren. „Das Bett befindet sich 0,0157 Mikrometer zu weit rechts und der Tisch steht nicht parallel zur Wand, die linke Seite muß 0,3962 Nanometer weiter nach hinten“, verkündet er mir mit einem fetten Grinsen in seiner Fresse. Ich bessere schnell nach, damit ich mich im Anschluß daran zum Frühstück in den Tagesraum begeben darf.
Um mir von dem acht Jahre alten, steinharten Brot eine Scheibe abzuschneiden, hole ich schnell die Flex aus meiner Tasche. Nachdem ich mir das Brot ins Maul geschoben habe, brüllt der Stationsführer vom Dienst durch den Tagesraum: „Tisch abräumen, Schulsachen holen!“ Somit muß ich darauf verzichten, einen Schluck des abgestandenen Wassers hinterherzukippen und laufe zügig in mein Zimmer, schnappe mir den Schulkram und befinde mich mit einem Satz auch schon am Ausgang. Nach einigen Stunden sind alle Psychoschüler versammelt und wir latschen gemeinsam zur Schule.
In der ersten Stunde haben wir Deutsch. Wenigstens ist der Unterricht saueinfach, ungefähr auf dem Bildungsniveau der ersten Grundschulklasse. Sollte man jedoch auf die Idee kommen, dieses öde Gelaber des Lehrers in irgendeiner Weise auflockern zu wollen, kann man sicher sein, daß gleich ein Großalarm ausgelöst wird und man unmittelbar auf der Folterbank landet. Hier ist es schlimmer als bei der Stasi, es gibt absolut nichts, was man machen könnte, ohne daß die Terrorregierung innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde darüber informiert wäre. Zweite Stunde: Mathematik. Ebenso langweilig wie die erste Stunde, aber dann haben wir endlich ein paar Minuten Pause. Leider steht unser Hobbydiktator am Fenster und beobachtet uns genau. Abermals können wir nichts anderes machen als blöd hintereinander herzulaufen und dabei Löcher in die Luft zu starren. Zumindest erlernt man auf diese Weise recht schnell den apathischen Psychoblick, sofern man ihn zuvor noch nicht beherrschte.
Die Englischstunde vergeht einigermaßen schnell, auch nur mit Pille-Palle, aber immerhin ist die Gruppe ziemlich cool, was wie im richtigen Leben leider auch in der Klapse nur äußerst selten vorkommt. Zu guter Letzt steht nur noch eine Stunde Biologie an. Dies ist die einzige Stunde, während der man etwas entspannen kann. Wir machen gerade den Praxiskurs Sexualkunde. Ach, nee! Wir reden doch nur über Spinnen, aber dieses Thema ist für eine Klapsmühle auch das einzig richtige, weil hier schließlich alle spinnen. Jedenfalls pflegt die biologische Alleinherrscherin nicht ganz so enge Kontakte zur Stasi wie ihre Kollegen, es kann also gelegentlich ganz witzig werden. Selbstverständlich lernt man dabei auch nichts, aber es ist und bleibt schlichtweg eine Klötzchenschule.
Um zwölf Uhr geht es geschlossen zur Station zurück. Der Stationspolizist empfängt uns schon am Eingang: „Allgemeine Zutrittskontrolle, Psychoschein und Toilettenpapiere, bitte!“ Wenn man hier von Toilettenpapier spricht, ist natürlich nur das qualitativ hochwertige Klapsen-Scheißpapier der Marke »Schmirgel« gemeint. Ein paar Leute werden herausgepickt und genauestens durchsucht. Man sollte sich ernsthaft die Frage stellen, wer hier wirklich bescheuert ist. Klar, auf dem Klapsenhof wimmelt es nur so von Drogendealern und Waffenhändlern, die Lehrer stecken uns auch ständig etwas zu und alles andere kommt vom Himmel geflogen. „Sind Sie mit einem IQ-Test einverstanden?“, fragt mich der Psychobulle. Selbstverständlich, wieso nicht? Mit Intelligenz hatte ich noch nie etwas zu tun, somit habe ich nichts zu verbergen. „Was ergibt drei mal fünf?“, fragt er mich. „Donnerstag“, gebe ich zur Antwort. Natürlich richtig, somit darf ich meine Schulsachen in mein Zimmer bringen, mir die Hände waschen und mich zum Mittagessen an den Tisch setzen.
Heute gibt es frisch angerührten Mörtel und Knetmasse – mein Lieblingsgericht. Ach, mein Lieblingsgericht ist ja schon das Oberlandesgericht, aber gleich an zweiter Stelle steht das Klapsenfutter. „Hier fehlt ein vegetarisches Essen“, verkündet unsere persönliche Küchenschabe. Es wäre auch ein Wunder, wenn das Personal einmal etwas hinbekäme. Inzwischen bin ich es gewohnt, regelmäßig nichts zu fressen zu bekommen. Immerhin gibt es selbstgemachten Klapsentee. Im Handel erhält man diese einzigartige Teemischung unter der Bezeichnung »Kleintier-Streu«. Direkt nach dem Essen bzw. Nicht-Essen muß ich zu dieser blöden Heilpädagogin. Daß die alle nicht ganz richtig sind, war mir ja schon längst klar, aber die Alte schießt echt den Vogel ab! Heute machen wir »backe, backe Kuchen«. Natürlich stellt sich jedes ansatzweise intelligente Wesen die Frage, was so ein Schwachsinn therapiemäßig bringen soll. Ich weise meinen Prozessor an, sämtliche pädagogische Interrupts zu ignorieren und somit überstehe ich auch diese Stunde ohne nennenswerte, bleibende Schäden.
Mittagspause. Jetzt darf ich mich noch über eine Stunde in meinem Zimmer mit der Wand unterhalten. Dies ist das konstruktivste Gespräch, das man in der Klapse legal führen kann. Jedoch bleibe ich nicht in meinem Zimmer, sondern schleiche über den Flur zu Katrin und Anna, den einzigen gescheiten Leuten in der Ballerburg. Jäuster haben sowieso von Natur aus schon einen Vollschaden und immer mehr Weiber scheinen diese Idiotie auch noch imitieren zu müssen. Die Menschheit verblödet ohnehin immer mehr und dagegen ist man machtlos. Hauptsache die Mittagspause ist alsbald vorbei, ohne daß eine größere als nach den Umständen unvermeidbare Langeweile aufkommt.
Rambo läuft über den Flur. „Antreten zum Appell!“, heißt es nun. Ich muß mich unter das Volk der allgemeinen Stationswanderung mischen, damit die verpeilten Pfleger nicht merken, daß ich mich wieder einmal im Zimmer geirrt habe. So etwas kann doch mal passieren und außerdem ist es von uns als Psychos sowieso zu viel verlangt, daß wir uns merken, welches Zimmer unseres ist, aber für die Pfleger stellt dies dennoch ein Kapitalverbrechen dar. Wir setzen uns in den Flur. Sitzstreik! Hoffentlich meint der Psychologe nicht wieder, daß ich die anderen Patienten dazu animiert habe, denn diesmal ging die Initiative ausnahmsweise nicht von mir aus. „Das geht alles von eurer Zeit ab!“, gibt unser Möchtegern-Drill-Instructor zu bedenken. Jetzt habe ich aber Angst! – Papiertiger! Von welcher Zeit soll das denn bitteschön abgehen? Ob wir uns hier langweilen oder im Gruppenraum, ist gehoppst wie gesprungen. Nach einer kurzen Diskussion mit dem Psychologen begeben wir uns doch noch vollzählig zum Gruppenraum, denn etwas Abwechslung kann nicht schaden.
Der Psychologe labert auch direkt los, der Stationsarzt sitzt ohnehin immer nur blöd daneben. Es folgt gut eine Stunde sinnloses Gelaber auf Talkshow-Niveau. Zum Erstaunen aller Anwesenden melde ich mich heute auch mal zu Wort. „Wow, es redet!“, denkt sich der Psychodoc wahrscheinlich gerade. „Wissen Sie, was ich nicht verstehe?“, frage ich ihn. Er heuchelt Interesse und fragt: „Was denn?“ – „Japanisch!“, antworte ich. Ha, ha! Wie lustig! Einige scheinen nie zu verstehen, daß man über Psychos nicht lachen darf. Zurück auf der Station angekommen, warten wir im Tagesraum auf die Pfleger, bis sie sich nach einigen Jahrzehnten endlich aus dem Büro bemühen. „Wissen Sie, wie lange wir hier schon gestanden haben?“, frage ich einen von ihnen. Natürlich folgt daraufhin das übliche Psychogelaber, ich solle nicht meckern, sonst könne ich auf der Station bleiben. Es war ja klar, daß man mit den Pflegern nicht reden kann, schließlich brauchen sie ihre drei Gehirnzellen schon, um das Atmen nicht zu vergessen.
Wir werfen uns unsere Jacken über und latschen zusammen mit den Pflegern Richtung Einkaufszentrum. Da ich nur Zigaretten brauche, habe ich meine Einkäufe recht schnell erledigt. Für weitere Dinge reicht das spartanisch bemessene Taschengeld der Ballerburg sowieso nicht, somit warte ich am Eingang des Geschäfts und schaue mir die Karten mit den privaten Verkaufsangeboten und Gesuchen an. Ich könnte mich ja schon mal um einen Nachmieter für die Klapse kümmern. Jetzt schon? Ich bin doch erst etwas über ein Jahr dabei. Man weiß ja nicht, wie lange es dauert, bis sich jemand findet, der sich diesen Luxus leisten kann, deshalb fülle ich auch eine solche Karte aus: »Luxus-Suite in der Klapsmühle, großzügige 7 m², hervorragender Ausblick auf die Laderampe und Müllcontainer, komfortabel eingerichtet mit Bett, Schrank, Tisch und Stuhl. Pro Woche eine Unterbringung im Kriseninterventionsraum inklusive.« Dann geht es auch schon wieder zurück zur Irrenanstalt.
Zu guter Letzt gibt es Abendbrot und zwar den Fraß, der morgens und mittags übriggeblieben ist. Anschließend schikaniert Monsieur Superwichtig uns noch ein wenig herum und sucht nach jedem Fliegenschiß, den er von einem Patienten beseitigen lassen könnte. Wie im Kindergartenalter geht es letztendlich um 20 Uhr ins Bett – vorausgesetzt, daß man sich in den vergangenen Tagen psychologenkonform verhalten hat, ansonsten wird der Einschlaftermin schon mal um einige Stunden vorverlegt. Wer also nicht bekloppt war, als er gekommen ist, ist es spätestens, wenn er entlassen wird.